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Der amerikanische Markt entdeckt die elektronische Musik. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Clubs und Festivals in Europa
Ricardo
Urgell, Betreiber des wohl berühmtesten Clubs Europas, des Pacha in
Ibiza, hat es vor einiger Zeit gereicht: Weil die DJs immer höhere Gagen
verlangten, kündigte er kurzerhand seinen Programmchef und verlängerte
die Verträge einiger Superstars einfach nicht mehr. Die Folge war eine
Grundsatzdiskussion über die hohen Gagen mancher Größen der
elektronischen Musik, zuletzt berichtete auch die "New York Times" ausführlich über die Probleme auf Ibiza.
Amerika ist "schuld"
Wie kam es überhaupt dazu, dass ein DJ wie David Guetta für einen
Auftritt zuweilen 250.000 Euro Gage bekommt und Forderungen von 50.000
Euro auch von mittelbekannten Artists keinen Veranstalter mehr
überraschen? "Diese Entwicklung hat hauptsächlich in den letzten zwei
Jahren ihren Lauf genommen, und das liegt daran, dass Amerika jetzt
elektronische Musik für sich entdeckt", sagt Stefan Auer, seit
Jahrzehnten als Veranstalter in Graz tätig und Organisator des Springfestivals.
Jahrzehntelang galt Europa als Heimat und Brennpunkt elektronischer
Musik: Hier wurden DJs in Clubs gefeiert, die unbekannte Tracks
auflegten, noch lange bevor das irgendjemanden in den USA interessierte.
Nicht zuletzt wegen Änderungen der Rechtssituation für US-Radiosender
bekamen in letzter Zeit auch in den USA vermehrt europäische und in der
Folge amerikanische Elektronik-Artists Airtime. Und das Publikum sprang
auf den Zug auf.
Las Vegas ist das neue Ibiza
Binnen weniger Monate entstanden in den USA nach europäischem Vorbild riesige Festivals, die die DJs abfeierten. Tiësto,
einer der weltweit am besten verdienenden DJs, macht nun erstmals seit
Jahren keinen Stopp mehr in Ibiza. Ihn zieht es nach Las Vegas, das als
neues Ibiza gehandelt wird. "Man merkt, dass dort Entertainment noch
etwas wert ist.", sagt Christian Lakatos, Organisator des Urban Art Forms Festivals,
der gerade aus Las Vegas zurückgekehrt ist. "Ticketpreise von bis zu
150 Dollar schrecken dort niemanden ab. Hier jammern alle schon bei 15
Euro Eintritt." Das liege daran, dass dort eine andere Entertainment
Kultur herrsche, wo man es gewohnt sei zum Beispiel auch für College
Football Games Eintritt zu zahlen. In den USA habe die Entertainment
Kultur einen anderen Stellenwert und die Leute seien es gewohnt, hohe
Eintrittspreise zu zahlen, meint Lakatos weiter.
Spektakel statt Musik
Riesige Clubs nehmen in Las Vegas große DJ-Namen unter Vertrag, das
Penthouse für die Artists befindet sich gleich ein paar Stockwerke über
dem Club, und die Gagen sind so hoch, dass selbst hartgesottenen
Brancheninsidern schwindlig wird. Künstler wie Deadmau5 entscheiden sich
dementsprechend wenig überraschend dafür, mehr Gigs in den USA zu
spielen. "In Las Vegas sind die DJs die neuen Varieté-Shows, wenn man so
will. Das ist nur mehr Jahrmarkt, Spektakel, Zirkus, da geht es gar
nicht mehr um die Musik. Liveauftritte werden für die Künstler außerdem
immer wichtiger, weil immer weniger Musik gekauft wird", bestätigt
Stefan Auer.
Blase kurz vor dem Platzen
Der Maßlosigkeit, die durch Angebot und Nachfrage ermöglicht wird,
sind jedoch laut Szenekennern Grenzen gesetzt. Philipp Straub, Chef der Künstleragentur Titan,
der Artists wie Paul Kalkbrenner und Carl Cox nach Österreich bringt,
glaubt, dass das Systems nicht mehr lange rentabel sein wird: "Eine
ähnliche Situation hatten wir schon von 2000 bis circa 2003, als die
Blase geplatzt ist. Jetzt steuern wir wieder darauf zu, aktuell befinden
sich die Gagen sicher am Zenit."
Solange es sich für Veranstalter und Artists rentiere, werde das
Spiel noch weitergehen, meint Straub. "Aktuell sehe ich zwei Trends:
Große Festivals mit dementsprechend großen Namen und hohen Ticketpreisen
auf der einen Seite - und auf der anderen die florierende Clubszene im
Niedrigpreissegment, die die Szene gesund hält. Große Shows mit nur
einem Artist sind eher wieder am Verschwinden."
Konkurrenzkampf in Österreich
Kurz vor Beginn der heimischen Festivalsaison machen sich die
Entwicklungen auch in Österreich bemerkbar. "Wir müssen jetzt viel mehr
um internationale DJs kämpfen als früher, weil viele verständlicherweise
nur mehr in den USA spielen wollen", sagt Christian Lakatos. Dennoch
mache man ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr mit, sind sich
Lakatos und Auer einig: "Ab einer gewissen Grenze spielt der Act dann
einfach nicht bei uns."
Von dem Konkurrenzkampf zwischen den österreichischen Festivals
profitieren vor allem die Artists, meint Lakatos: "Es gibt immer wieder
den Fall, dass man von jemand anderem überboten wird. Gerade in den
letzten Jahren werden manchmal absurd hohe Gagen geboten, und der
besagte Act spielt dann plötzlich woanders." Das wiederum treibt für die
BesucherInnen die Ticketpreise in die Höhe. (Lisa Stadler,
derStandard.at, 11.4.2013)
Update am 12.4.: Auf Wunsch von Christian Lakatos wurde seine Aussage zu den Ticketpreisen präzisiert.